Deborah Fricker, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, 16.10.2019
Stress ist in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Jeder vierte Arbeitnehmer in der Schweiz kann die durch den Stress entstandenen Belastungen nicht genügend mit seinen Ressourcen kompensieren. Stressfolgeerkrankungen sind so gravierend, da sie in der Häufigkeit zunehmen und durch die Arbeitsausfälle sehr kostenintensiv sind. Dieser Artikel beschreibt, was die psychische Reaktion auf Stress ist und wie Betroffene damit umgehen können.
Körperliche Reaktion auf Stress
Wird Stress erlebt, passiert sofort eine Reaktion im Körper. Der Körper bereitet sich immer z.B. mittels Hormonausschüttung und Aktivierung der Muskeln auf eine mögliche Reaktion vor. Bedenklich wird das erst, wenn der Stress sehr häufig bis chronisch vorhanden ist. Anhaltender Stress hat Folgen auf alle internen Körperprozesse (hormonell, auf Zellebene) und auf das Funktionieren der Organe (z.B. Herz, Lunge, Verdauung, Haut). Die körperlichen Auswirkungen sind in der Regel für die Betroffenen eher noch fassbar oder logisch nachzuvollziehen, wie unter Muskelverspannungen, Schlafstörungen, hohem Puls oder Blutdruck zu leiden. Was geschieht aber eigentlich psychisch mit uns, wenn der Stress chronisch ist?
Die Stressfalle ist uns oft nicht so bewusst. Wir sind uns gewohnt, unseren Alltag mit seinen Strukturen und Verpflichtungen zu bewältigen. Da vieles von aussen schon vorgegeben ist, machen wir einfach mit. Wir funktionieren also. Beim Funktionieren ist vieles schon automatisiert, das ist praktisch, denn es braucht dafür keine zusätzliche Kapazität. Hier lauert die Gefahr. Durch das Abspulen der Termine verlieren wir immer mehr den Kontakt zu uns selbst.
Die Wahrnehmung von Stress kommt spät
So nehmen wir dann auch nicht wahr, dass unsere Kräfte schleichend schwinden. Vielleicht merken wir, dass wir auf das ganze Funktionieren keine Lust mehr haben. Um den Alltag trotzdem bewältigen zu können, erhöhen wir einfach den Druck auf uns. Innere Sätze wie «was ist eigentlich los mit dir?», «reiss dich doch zusammen», «zeig bloss keine Schwäche» tauchen auf. Unser Schuldgefühl, dass wir sowieso zu wenig leisten, wird immer grösser und lässt uns weitermachen. Wir nehmen schon am Rande wahr, dass wir irgendwie für nichts mehr richtig Kraft und Nerven haben und auch das Gefühl nirgends mehr zu genügen, (sei es am Arbeitsplatz, in der Familie, bei Freunden, beim Sport) ist präsent. Neben den Schuldgefühlen, nichts und niemandem mehr gerecht werden zu können, kommt zusätzlich die Scham. Die Scham, versagt zu haben. Schuld- und Schamgefühle sind sehr starke negative Gefühle, die immens belasten und schlecht für den Selbstwert sind. Sinkt der Selbstwert, wollen wir ihn durch Mehrleistung wiederaufbauen. Sie sehen es, das Ganze ist ein Teufelskreis. Auch auf der gedanklichen Ebene geschieht eine Negativspirale: unsere Selbstbewertung ist vernichtend. Unsere Überforderung legen wir als Versagen aus. Jemandem mitzuteilen, dass wir gestresst sind und nicht mehr mögen, ist uns unangenehm.
Aufrechterhalten des Funktionsmodus: ein Teufelskreis
Zusätzlich spüren wir den Druck, die Lebenskosten weiterhin decken zu müssen. Je mehr wir belastet sind, umso enger wird der Blickwinkel, mögliche Auswege sind kaum noch zu sehen. Mit noch mehr Durchhalten glauben wir, ans Ziel zu kommen (wobei kein Ziel in Blickweite liegt). Der Stress und das eigene Unvermögen ihn zu bewältigen, beschäftigen uns Tag und Nacht. Durch den fehlenden Schlaf aufgrund der Schlafstörungen fühlen wir uns zusätzlich immer mehr neben der Spur. Konflikte zu Hause häufen sich. Wir werden dünnhäutig und mögen erst recht nichts mehr vertragen. Die Geduld platzt bei den Liebsten! In Konflikten mit Vorgesetzten können wir nicht mehr souverän auftreten, die Rückmeldung, dass wir uns sehr verändert hätten, kommt obendrauf. In der Verzweiflung wird möglicherweise zum Alkohol gegriffen.
Veränderungen in der Persönlichkeit
Es fühlt sich so an, als hätten wir uns selbst verloren und unsere Persönlichkeit schon weit hinter uns gelassen. Es geht ums blanke Überleben und Aufrechterhalten der Fassade.
Wer sind wir eigentlich, was macht uns glücklich, was wollen wir?
Der Stress verändert uns also auch psychisch. Diese Veränderungen sind zutiefst schmerzvoll. Denn wir fühlen uns verloren und haben uns aufgegeben. Aufgegeben wer wir mal waren und wer wir sein möchten.
Was hilft bei Stress
- Sich einzugestehen, dass das Problem vorhanden ist und dass man nicht auf dem richtigen Weg ist. Eigene Fehler akzeptieren. Wir alle machen sie. Eigene Schwächen annehmen. Wir alle haben sie. Wir sind menschlich.
- Sich mit Mitgefühl begegnen, wie man es bei anderen auch tun würde. Das eigene Bemühen und Fortfahren im Alltag trotz schwindender Kräfte anerkennen. Sich vor Augen halten, was man eigentlich immer wieder geleistet hat. Die Leistung nicht nur an den Resultaten messen, sondern auch im Bemühen, im Weiterfunktionieren im Alltag. Scheinbar kleine Siege sind es definitiv wert, gefeiert zu werden.
- Sich öffnen für eine Veränderung. Die Veränderungsbereitschaft in sich stärken. Die eigenen Stärken wiedersehen und wieder an sich glauben. (Dies ist ein Prozess).
- Aktiv nach Entlastungen im Alltag suchen. Kann ich etwas abgeben? Kann ich nach Hilfe und Unterstützung fragen? Darf ich wieder mal Freizeit haben, etwas tun das mir guttut? Kann ich ein paar Tage oder mehr eine Auszeit nehmen? Darf ich einfach nur mal ausruhen?
- Sich zurückerinnern, was einem wichtig ist im Leben. Die eigenen Werte (z.B. Verbundenheit in der Familie, Motivation bei der Arbeit), die man verfolgen will, aufschreiben. Prioritäten (z.B. Gesundheit, Freizeit, Familie & Freunde) im Leben wieder bewusst definieren.
- Methoden und Strategien lernen, um mit dem Stress besser umzugehen und somit resilienter (widerstandsfähiger) zu werden. Das wird Stressmanagement genannt und das können Sie in einer Psychotherapie bei mir lernen.